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Rechtsextreme Gewaltdelinquenz und Praxis der Strafverfolgung
14. September 2023/10:30 - 18:30
Abschlusstagung der Nachwuchsforschungsgruppe 020 der Hans-Böckler-Stiftung
In den Jahren 2014 bis 2016 ließ sich ein starker Anstieg der polizeilich registrierten rechtsmotivierten Gewaltdelinquenz feststellen. Vor dem Hintergrund der Debatte um Flucht und Asyl sowie rassistischer Masenmobilisierungen wie den Pegida Demonstrationen nahm nicht nur die Quantität der Delikte zu, sondern es zeigten sich auch qualitative Veränderungen, etwa im Anstieg der Brand und Sprengstoffanschläge. Ebenso waren rechtsterroristische Fanaltaten zu beobachten, zuletzt die antisemitisch und rassistisch motivierten Anschläge von Halle Saale und Hanau. Die 2019 gebildete Nachwuchsforschungsgruppe „Rechtsextreme Gewaltdelinquenz und Praxis der Strafverfolgung“ (NFG020) setzte sich vor diesem Hintergrund zum Ziel, einen grundlegenden Beitrag zu einem besseren wissenschaftlichen Verständnis von Taten, Täter:innen und Reaktionen der Strafverfolgungsbehörden im Phänomenbereich rechtsextremer Gewaltdelinquenz zu leisten zumal sich bislang die meisten wissenschaftlichen Studien zu diesen Themen auf die 1990er Jahren beschränkten. Die Hans Böckler Stiftung förderte im Rahmen der Nachwuchsforschungsgruppe zeitweise drei Dissertationsprojekte.
Auf der Abschlusstagung am 14. September in Frankfurt/Main werden nun Ergebnisse dieser Arbeiten präsentiert und zur Diskussion gestellt. Die eingeladenen externen Expert:innen Frank Neubacher, Michael Kohlstruck, Vanessa Salzmann, Stefan Malthaner, Fabian Virchow und Alexander Niedermeier werden Einblicke in ihre Forschung und Theoriebildung bieten.
Notwendig ist eine schriftliche Anmeldung bis zum 01.09.2023 per Email an kriminologie@uni frankfurt.de
Programm als .pdf: Hier…
Programm
10:30 bis 11:00 Uhr
Ankommen
11:00 bis 11:15 Uhr
Begrüßung
11:15 bis 13:00 Uhr
Panel 1: Entwicklungen rechtsmotivierter Gewalt
Im Zuge der so genannten „Flüchtlingskrise“ in den Jahren ab 2014 ließ sich bundesweit ein drastischer Anstieg rechtsmotivierter Gewaltdelinquenz beobachten. In diesem Panel soll der Frage nachgegangen werden, auf welche Täter:innen-Gruppen dieser Anstieg zurückzuführen ist und welche Unterschiede sich im Vergleich zur Täterstruktur der 1990er Jahre zeigen. Ein weiterer Fokus liegt dabei auf rechtsmotivierten Brandstiftungsdelikten sowie auf der regionalen Spezifik rechter Gewalt in Berlin.
Dr. Jana Berberich (NFG 020) und Max Laube (NFG 020) stellen ihre Erkenntnisse über den Wandel der Täter:innenstruktur rechter Gewaltdelinquenz der Jahre 2013 bis 2019 vor. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Analyse rechtsmotivierter Brandstiftungsdelikte gelegt, da diese Deliktform im genannten Zeitraum einen besonders starken Anstieg erfahren hat.
Prof. Dr. Frank Neubacher (Universität zu Köln) referiert zu den Erkenntnissen seiner Dissertation zu fremdenfeindlichen Brandanschlägen in den 1990er Jahren. Seine Befunde, die mittlerweile zum Kanon der deutschsprachigen Gewaltforschung gehören, werfen ein Schlaglicht auf Taten und Täter:innen fremdenfeindlicher Brandanschläge sowie auf die justizielle Bearbeitung der Taten.
Dr. Michael Kohlstruck (Technische Universität Berlin) hat an der Arbeitsstelle Jugendgewalt und Rechtsextremismus des Zentrums für Antisemitismusforschung mit seinem Team zwei Studien zu rechter Gewalt in der Hauptstadt erarbeitet. Er wird die Befunde von 2009 und 2020 vergleichend darstellen und der Frage nach Kontinuität und Wandel von Tat-, Opfer- und Täter:innenstrukturen nachgehen.
13:00 bis 14:00 Uhr
Mittagspause
14:00 bis 15:30 Uhr
Panel 2: Rechtsterrorismus und Einzeltäterschaft
Seit den Anschlägen von Breivik im Jahr 2011 in Norwegen hat sich das wissenschaftliche Interesse an einzeln agierenden Tätern rechtsterroristischer Gewalt stark erhöht. Umfassende Arbeiten zum Phänomen rechtsterroristischer Einzeltäter in Deutschland liegen aber noch nicht vor. Umstritten ist, was Alleinhandeln bei diesen Tätern bedeutet und wie ihre Bezüge zu politischen Bewegungen und Diskursen zu fassen sind. Zudem besteht in vielen Fällen Dissens in der Beurteilung der Tat als politisch motiviert, wenn sich persönliche Motivlagen und psychische Auffälligkeiten mit politischen Begründungen vermischen.
Hendrik Puls (NFG 020) untersucht mittels einer Analyse von Strafverfolgungsakten rechtsterroristische Einzeltäter, die zwischen 2000 und 2020 Anschläge in Deutschland verübten. Im Fokus steht dabei insbesondere deren politische Einbettung, worunter das soziale Beziehungsgeflecht verstanden wird, das Täter mit rechten Milieus und Gruppierungen verbindet.
Prof. Dr. Stefan Malthaner (Hamburger Institut für Sozialforschung) war an mehreren umfangreichen Studien zum Einzeltäterterrorismus beteiligt und fordert, die soziale und kollektive Dynamik dieser Form von Gewalt ernst zu nehmen. Er plädiert dafür, Einzeltäterschaft als eine spezifische soziale Konfiguration zu analysieren, um Radikalisierungsprozesse und die Kontexte der Gewalttaten erfassen zu können.
Prof. Dr. Fabian Virchow (Hochschule Düsseldorf) ist Leiter des Forschungsschwerpunkts Rechts-extremismus/Neonazismus (FORENA). Er untersuchte die oftmals als „Manifeste“ bezeichneten Tatbekenntnisdokumente als eine im Zusammenhang mit terroristischer Gewalt genutzte Kommunikationsform politischer Botschaften.
15:30 bis 16:00 Uhr
Pause
16:00 bis 17:30 Uhr
Panel 3: Polizieren rechtsmotivierter Gewalt
Die polizeiliche Bearbeitungspraxis von rechtsmotivierter Gewalt gehört zu einem bislang kaum beforschten Bereich der polizeiwissenschaftlich orientierten Organisationsforschung. Das Polizieren rechter Gewalt steht folglich im Fokus dieses Panels. Politische Motive einer Tat wahrzunehmen, zu bewerten und entsprechend zu bearbeiten erfordert ein besonderes Maß an politischer Sensibilität und Wissen. Einige Forscher:innen untersuchten in den letzten Jahre die Motivlagen bestimmter Tötungsdelikte auf Länderebene neu und stellten fest: bei einigen Taten wurden die rechten Motive nicht erkannt. Offen bleibt, welche Faktoren in der polizeilichen Bearbeitungspraxis genau dazu beitragen, politische Motive zu erkennen und welche Gründe dazu führen, politische Motive nicht wahrzunehmen.
Claudia Tutino (NFG 020) untersuchte in vier Bundesländern das Polizieren rechter Gewalt. Im Zentrum ihrer qualitativen Untersuchung steht die polizeilichen Wahrnehmungs- und Bewertungspraxis von rechtsmotivierten Gewalttaten. Dabei rekonstruiert sie das Polizieren rechter Gewalt vom „ersten Angriff“ des Streifendienstes bis zur Bearbeitung in Fachkommissariat des Staatsschutzes, um fördernden und hemmenden Faktoren einer gelingenden Motiverkennung auf den Grund zu gehen.
Prof. Dr. Vanessa Salzmann (Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW) ist Soziologin. Ihr Forschungsinteresse gilt u. a. dem Verhältnis von Rechtsextremismus und Polizei. Aus organisationssoziologischer Perspektive blickt sie auf die Ermittlungen zum NSU. Dabei geht sie der Frage auf den Grund, welche organisationalen Strukturen der Polizei dazu beigetragen haben, dass der NSU viele Jahre nicht entdeckt wurde. Mit einer rassismussensiblen Perspektive verweist sie auf die Notwendigkeit der Prävention sowie einer organisatorischen (Neu-)Ausrichtung.
Dr. Alexander Niedermeier (Zentrum für politische Bildung und Vielfalt in der Polizei NRW) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW. Er setzt sich insbesondere aus der Perspektive der Sicherheitsforschung mit dem Thema rechtsmotivierte Gewalt auseinander. Auf theoretischer Ebene nimmt er eine international-vergleichendem Perspektive zum Thema Polizieren rechter Gewalt ein und erlaubt damit einen Blick über den nationalen Tellerrand Deutschlands hinaus.
17:30 bis 18:00 Uhr
Pause
18:00 bis 18:30 Uhr
Zusammenfassung und Abschlusskommentar
Prof. Dr. Tobias Singelnstein (Goethe-Universität Frankfurt) ist Professor für Kriminologie und Strafrecht. Er ist Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe 020 und Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung.
Veranstalter
Professur für Kriminologie und Strafrecht Goethe-Universität Frankfurt a. M., Nachwuchsforschungsgruppe 020 der Hans-Böckler-Stiftung, gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung und in Kooperation mit dem Clursterprojekt „ConTrust. Vertrauen im Konflikt. Politisches Zusammenleben unter Bedingungen der Ungewissheit“ der Goethe-Universität Frankfurt am Main.