„Das Ehegattensplitting unterstützt die Ehe, nicht die Familie“

Die Ökonomin Nicola Fuchs-Schündeln über Gleichstellungspolitik, den Einfluss des Staates auf das Privatleben und die Chancen, die in einer Reform liegen könnten.

Von Sina-Maria Schweikle

In Politik und Gesellschaft wird gerade viel über das Ehegattensplitting diskutiert. Was könnte eine Reform bewirken, und wie zeitgemäß ist das Ehegattensplitting in seiner jetzigen Form? Nicola Fuchs-Schündeln ist Professorin für Makroökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt und forscht zur Wirkung steuerpolitischer Maßnahmen.

SZ: Das Ehegattensplitting soll bleiben, das Elterngeld wird gekappt: Erzieht der Staat aus Ihrer Sicht Frauen dazu, im Alleinverdiener-Modell zu verharren?
Nicola Fuchs-Schündeln: So weit würde ich nicht gehen. Der Staat sperrt mit seinen Politikmaßnahmen Familien oder Ehen nicht in ein gewisses Konstrukt. Aber natürlich setzt der Staat Anreize, und es gibt verschiedene Elemente im deutschen Steuer- und Transfersystem, die tatsächlich diese Alleinverdiener-Ehe begünstigen. Das Hauptelement ist meiner Meinung nach das Ehegattensplitting. Es gibt aber auch andere Elemente, wie zum Beispiel die kostenlose Mitversicherung in der Sozialversicherung. Neben den finanziellen Anreizen sollte man auch die Signalwirkung von Politikmaßnahmen nicht unterschätzen, gerade in einem Bereich, in dem Normen eine wichtige Rolle spielen. Das haben wir bei der Einführung des Elterngeldes gesehen, nach der mehr Mütter ein Jahr nach der Geburt wieder angefangen haben zu arbeiten. Das Elterngeld hat eine neue Normalität geschaffen: Ein Jahr mit dem Kind zu Hause bleiben, aber dann ist es auch okay, wieder zu arbeiten.

Wie stark ist denn die Wirkung solcher familienpolitischer Anreize? Macht am Ende nicht ohnehin jedes Paar das, was es möchte?
Junge Paare überlegen, wie sie ihr Leben gestalten. In der ersten Hälfte des Arbeitslebens stehen schwierige Entscheidungen an, gerade, wenn Kinder in die Beziehung kommen. Empirische Studien aus Ländern, die das Ehegattensplitting abgeschafft haben, nämlich Großbritannien und Schweden, zeigen, dass die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen in der Folge hochgegangen ist. Und zwar insbesondere von Frauen, die mit gutverdienenden Männern verheiratet waren, für die sich also der Steuersatz durch die Reform besonders stark geändert hat. Die Paare reagieren also durchaus auf die Besteuerung.

Warum gibt es das Ehegattensplitting überhaupt?
Vor dem Ehegattensplitting war das System in Deutschland so: Das Einkommen von Mann und Frau wurde addiert, und dann wurde der normale Steuersatz auf das Haushaltseinkommen angewendet. Das führte zu einer steuerlichen Benachteiligung der Ehe, man musste nach der Heirat in aller Regel mehr Steuern bezahlen als vorher. Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass eine solche Schlechterstellung der Ehe nicht sein darf. Bei der dann fälligen Reform hat man sich für das Ehegattensplitting entschieden: Das Einkommen von Mann und Frau wird immer noch addiert, das Haushaltseinkommen dann aber halbiert. Wir tun jetzt also so, als würde jeder Partner genau die Hälfte des gemeinsamen Einkommens verdienen.

Und es belohnt Paare steuerlich, wenn ein Partner sehr viel weniger verdient als der andere. Ist das ein Problem?
Es mindert die Anreize für Frauen zu arbeiten. Was mich als Volkswirtin besonders interessiert, ist der Blick aus der Wachstumsperspektive. Die Stärke der deutschen Volkswirtschaft beruht auf ihrem Humankapital. Wir sind nicht reich, weil wir viele Rohstoffe haben, sondern weil wir gute Ideen hervorbringen und ein innovatives Land sind. Wenn wir davon ausgehen, dass gute unternehmerische Ideen bei Frau, Mann, Jung und Alt aus allen sozialen Schichten auftreten können, dann wollen wir auch, dass all diese Menschen die Möglichkeit haben, diese Ideen einzubringen. Wenn wir Frauen den Anreiz geben, beruflich zurückzutreten, dann gehen uns sehr viele Talente verloren.

Inwiefern ist Steuerpolitik auch Gesellschaftspolitik?
Als Ökonomin denke ich in erster Linie über die finanziellen Anreizeffekte von Steuersystemen nach. Aber große politische Maßnahmen wie „Wir schaffen das Ehegattensplitting ab“ haben auch eine gesellschaftliche Signalwirkung. Gerade, wenn es um die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen und Müttern geht, zeigt die Forschung, dass soziale Normen eine große Rolle spielen. Wie normal ist es, dass Mütter arbeiten und Karriere machen? Wie ist die gesellschaftliche Anerkennung für diese Frauen? Die jüngere Forschung zeigt, dass das Brechen von Normen mit Kosten verbunden ist. Zum Beispiel führt der berufliche Erfolg bei Frauen zu höheren Scheidungsquoten, bei Männern nicht. Große Politikmaßnahmen senden starke Signale, die die Normen verändern und den beruflichen Erfolg von Frauen erleichtern können.

Welche Rolle spielt der Fachkräftemangel bei diesen Überlegungen?
Wir brauchen gegenwärtig dringend Fachkräfte in Deutschland, und Frauen sind vielfach sehr gut ausgebildet, auch in Bereichen mit erheblichem Fachkräftemangel. Es ist erstaunlich, wie wenig wir darüber nachdenken, was getan werden kann, um es den Frauen leichter zu machen, sich stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Tatsächlich arbeiten ja viele Frauen, die Erwerbstätigenquote auch von Müttern und von verheirateten Frauen ist relativ hoch. Aber die Mehrheit der Frauen arbeitet in Teilzeit. Bezüglich der Arbeitsstunden ist noch jede Menge Luft nach oben.

Wie relevant ist da das Ehegattensplitting in der jetzigen Form noch?
Das Ehegattensplitting wurde in den 1950er-Jahren eingeführt. Zwei markante Unterschiede zu heute sind, dass zu der Zeit die Ehe noch die Normalform des Zusammenlebens war und die Scheidungsrate niedrig. Es gab weniger unverheiratete Paare und Patchworkfamilien als heute. Das Zweite, was ich sehr wichtig finde: Kinder sind damals zum ganz überwiegenden Teil in Ehen groß geworden. Heute ist es vermehrt so, dass Kinder außerhalb einer Ehe geboren werden und aufwachsen. Viele Eltern sind Alleinerziehende und profitieren demnach nicht vom Ehegattensplitting. Das Ehegattensplitting unterstützt die Ehe, nicht die Familie.

Aber trotzdem gibt es keine politische Mehrheit für eine Abschaffung.
Das ist relativ leicht zu erklären. Viele Wähler leben in Ehen, und natürlich ist es so, dass für Ehegatten die Steuerlast hochgehen würde, wenn man das Ehegattensplitting ersatzlos abschaffen würde. Eine solche Abschaffung sollte daher mit einer größeren Reform verbunden werden. Ein zweiter Grund ist, dass das Ehegattensplitting ein regressives System ist: Es profitieren insbesondere die Ehepaare davon, die einen großen Unterschied im Einkommen haben. Das sind in der Regel die Gutverdiener-Alleinverdiener-Ehen, und das ist eine Klientel, die sich politisch sehr effektiv einbringt.

Was wäre die Alternative zur jetzigen Regelung?
Es werden verschiedene Alternativen diskutiert. Eine Alternative ist, dass man eine Übertragung des steuerlichen Grundfreibetrags ermöglicht. Dieser Alternativvorschlag sieht vor, dass, wenn ein Ehegatte gar nicht oder wenig arbeitet, er seinen nicht genutzten Grundfreibetrag auf den anderen Ehegatten übertragen kann. Das verringert die Steuerlast des Ehepaares, aber nicht mehr in vollem Maße wie beim Ehegattensplitting. Wichtig erscheint mir, dass man bei allen Reformmodellen einen gewissen Bestandsschutz für bestehende Ehen einräumt.

„Das Ehegattensplitting unterstützt die Ehe, nicht die Familie“ von Sina-Maria Schweikle aus der Süddeutschen Zeitung vom 18. Juli 2023. © Süddeutsche Zeitung GmbH, München. Mit freundlicher Genehmigung von Süddeutsche Zeitung Content