FRANKFURT Auch in der dunkelsten Stunde darf man die Hoffnung nicht aufgeben. Als Krebspatient hat der Klimaphilosoph und Gerechtigkeitstheoretiker Darrel Moellendorf das am eigenen Leib erfahren. Nun hat er ein Buch darüber geschrieben, wie Hoffnung für eine bessere und nachhaltigere Welt sorgen kann.
Von Miguel de la Riva
Dass Philosophie ein Geschäft von existenzieller Gewalt sein kann, erfuhr Darrel Moellendorf, als bei ihm vor sechs Jahren Blutkrebs festgestellt wurde. Während er in der Frankfurter Uniklinik stationär behandelt wurde, schrieb er Tag für Tag einen Blog, in dem er sich mit der Frage beschäftigte, worin das gute Leben für jemanden besteht, der lebensbedrohlich erkrankt ist. „Die Philosophie hat mir damals unheimlich geholfen“, sagt er: „Man braucht in so einem Moment Mut, aber auch Akzeptanz, dass es nicht viel gibt, das man selbst tun kann.“
Dass sich der politische Philosoph, der seit zehn Jahren an der Goethe-Universität lehrt und dem Exzellenzcluster Normative Ordnungen angehört, auch in solchen Momenten mit großen Fragen und klassischen Texten beschäftigt, passt zu seinem Selbstverständnis: „Die Fragen, die mich interessieren, gehen vom Leben der Menschen in der Welt aus.“ Wobei ihn als Professor für internationale politische Theorie das Zusammenleben der Menschheit auf einem gar nicht mal so großen Planeten noch etwas mehr interessiert als das Leben des Einzelnen.
Im Laufe von Chemotherapie und Stammzellentransplantation wurde zunehmend auch die Hoffnung ein Thema seiner Blogposts. Nun ist sie zum Gegenstand eines Buches geworden, das Moellendorf unmittelbar nach seiner Genesung in Angriff nahm. Mit „Mobilizing Hope“ greift er ein Thema auf, das ihn schon 15 Jahre zuvor beschäftigt hatte, während er in Südafrika lebte. Der Amerikaner mit deutschem Urgroßvater hatte das Land zwischen 1996 und 2002 zu seiner Heimat gemacht; er lehrte damals an der Johannesburger Witwatersrand-Universität.
Hoffnung entdeckte Moellendorf seinerzeit als wichtige „politische Tugend“. Kurz nachdem im Land die ersten demokratischen Wahlen stattgefunden hatten, die Apartheid aufgearbeitet wurde und die schwarze Bevölkerungsmehrheit Hoffnung fasste, nahm er unter weißen Südafrikanern um sich greifenden Zynismus und Desillusionierung wahr. „Das hielt ich für die völlig falsche Einstellung“, sagt er. Hoffnung sei vielmehr eine Bürgertugend, die zu einer gerechteren Gesellschaft beitrage.
In seinem neuen Buch denkt er über diese Tugend nun im Zusammenhang mit der Klimakrise nach, die seine Arbeit in den vergangenen Jahren bestimmt hat. Moellendorf zählt nicht zu den Vertretern von Verzicht und Nullwachstum. Wirtschaftswachstum sei nötig, um globale Armut zu beseitigen. Dass dafür eine deutliche Steigerung des Energieverbrauchs erforderlich ist, die den Kampf gegen den Klimawandel gefährdet, ist für ihn ein Widerspruch, der durch internationale Kooperation zu überwinden ist. Als Vertreter eines kosmopolitischen Gerechtigkeitsverständnisses ist er überzeugt, dass ärmere Länder von reicheren dabei unterstützt werden müssen, ihr Recht auf nachhaltige Entwicklung wahrzunehmen.
Weil die wohlhabenden Nationen in alten Industrien Verlierer produzierten, die sich dem notwendigen Wandel mit vielen Hundert Millionen Dollar Lobbybudget entgegenstellten, lasse sich die erforderliche globale Nachhaltigkeitswende nur durch den Druck sozialer Bewegungen verwirklichen. Für ihre Mobilisierung bedürfe es der Hoffnung auf einen besseren gesellschaftlichen Zustand und der Vorstellung eines Weges, auf dem dieser erreicht werden könne.
Damit schließt Moellendorf an John Rawls an, den großen Klassiker der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. In der Bereitstellung realistischer Utopien sah dieser eine wesentliche Aufgabe des Fachs – mithin eine der Weisen, auf die Philosophie in der Welt wirksam wird. Weil der Frankfurter Theorietradition ein Denken in Utopien und konkreter politischer Praxis eher fremd ist, sieht Moellendorf sich nicht als Anhänger der Kritischen Theorie, auch wenn er mehrfach betont, dass er ihr aufgeschlossen gegenüberstehe und viel von ihr gelernt habe.
Doch Hoffnung auf einen besseren Zustand sei nicht Optimismus oder Naivität. Zwar motiviere sie gerade dann zum Handeln, wenn es unwahrscheinlich erscheine, dass das Erhoffte je eintrete. Doch wer darauf hoffe, dass die Welt einen besseren Zustand erreiche, müsse nicht der Illusion anhängen, dass es leicht sei, dort hinzukommen.
Gerade weil sie sich vom Optimismus unterscheide, brauche Hoffnung „Anker in der Realität“. Moellendorf nennt sie „hope makers“, Hoffnungsspender. Ein Beispiel sei etwa der technische Fortschritt, der erneuerbare Energien immer kostengünstiger gemacht habe. Als wichtigsten Hoffnungsspender jedoch sieht er den Aktivismus der jungen Generation für mehr Klimaschutz – denn Hoffnung sei ansteckend, glaubt der Professor.
Je mehr Menschen sich für etwas einsetzen, desto wahrscheinlicher wirkt es, dass sie es auch erreichen werden – und desto mehr Menschen beginnen ihrerseits, Hoffnung zu fassen und sich ebenfalls zu engagieren. Es kommt zu einer sich selbst verstärkenden Dynamik, die auch vom Gegenteil der Hoffnung bekannt ist, der Verzweiflung. Wer glaubt, dass sich nichts bessere, kann damit gerade deshalb recht behalten, weil er inaktiv bleibt, dadurch den Erfolg weniger wahrscheinlich macht und andere entmutigt.
Weil sie Gründe zur Hoffnung in einer immer schneller auf eine Katastrophe zusteuernden Welt geschaffen hätten, hätten die jungen Aktivisten Entscheidendes geleistet – weswegen es Moellendorf „völlig beschämend“ findet, wie sie hierzulande mitunter diffamiert würden. Bei Aktionen von Fridays for Future, aber auch radikaleren Teilen der Klimaschutzbewegung wie der Letzten Generation handele es sich um paradigmatische Beispiele von zivilem Ungehorsam, solange sie friedlich und gewaltfrei blieben: „Sie brechen zwar die Gesetze, tun das aber in aller Öffentlichkeit und akzeptieren ihre Strafe.“
Zwar lasse sich darüber diskutieren, inwieweit bestimmte Aktionen helfen, Mehrheiten für den Klimaschutz zu gewinnen. Die Aktivisten pauschal als Gefahr für die Demokratie hinzustellen oder sie gar mit Terroristen zu vergleichen sei aber schlichtweg unangemessen. Moellendorf vergleicht sie stattdessen mit der Bürgerrechtsbewegung: „Heute sehen wir Martin Luther King und die Bürgerrechtsbewegung als wunderbare, tugendhafte Bewegung an. Damals aber wurden sie angefeindet, weil sie Unannehmlichkeiten erzeugt haben.“ Ohne solche Unannehmlichkeiten könne keine soziale Bewegung etwas bewirken.
Nicht zufällig sind darum außer den Schriften Ernst Blochs, des Klassikers für konkrete Utopien und Hoffnung als politisches Prinzip, jene von Martin Luther King für Moellendorf zu einer wichtigen Inspirationsquelle geworden. Er wuchs in einer Zeit auf, die von Kings Ermordung und dem Vietnamkrieg geprägt war. Als junger Mensch war Moellendorf politisiert und engagierte sich während der Reagan-Ära in verschiedenen Campus-Bewegungen – etwa gegen Investitionen im Apartheidstaat Südafrika.
Moellendorf war politisch so engagiert, dass er lange darüber nachdachte, ob er sein weiteres Leben eher der Philosophie oder dem Aktivismus widmen solle. Seine Entscheidung bereut er nicht – und ist überzeugt, dass ihn der Aktivismus zu einem besseren Hochschullehrer gemacht hat: „Ehemalige Aktivisten wissen, wie man eine hitzige Diskussion moderiert, das lernt man im Studium überhaupt nicht. Vielleicht können sie auch die Sorgen vieler Studierender besser verstehen.“
Mit 62 Jahren ist Moellendorf noch einige Jahre von der Pensionierung entfernt. Er hofft, mit Kollegen aus empirischen Sozialwissenschaften wie der Psychologie Geld für ein Forschungsprojekt einzuwerben, das analog zur berühmten Studie Adornos über den „autoritären Charakter“ von der „hoffnungsvollen Persönlichkeit“ handeln soll: „Vielleicht stehe ich doch stärker in der Frankfurter Theorietradition, als ich dachte.“
Von Miguel de la Riva aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. August 2023. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv