Zu wenige junge Frauen setzen sich mit ihren Finanzen auseinander. Dabei ist Altersarmut ein weibliches Thema. Wie der Teufelskreis durchbrochen werden kann.
Von Carlota Brandis, Frankfurt
Altersarmut, Teilzeitfalle und „Gender Wealth Gap“: Diese Schlagworte fallen schnell, sobald sich eine Frau mit Finanzen auseinandersetzen will – und sie haben eine eher abschreckende Wirkung. Schließlich sollten junge Menschen Themen wie Sparpläne und Aktien angehen, ohne sich direkt davon überfordert zu fühlen. Überforderung ist aber für viele ein Hemmnis – besonders für Frauen. Studien zeigen, dass Männer eine andere Einstellung zum Finanzmarkt haben. Sie sehen Geldanlagen tendenziell als gute Einkommenschance, während Frauen eher nach Sicherheit suchen. Das hat Konsequenzen: Laut den Aktionärszahlen des Deutschen Aktieninstituts haben 2021 nur 12 Prozent der Frauen in Deutschland in Aktien investiert – bei Männern sind es mit 23 Prozent fast doppelt so viele. Was steckt dahinter?
„Das sind noch die klassischen Geschlechterrollen“, sagt Christine Laudenbach, Finanzprofessorin an der Goethe-Universität Frankfurt und Verhaltensökonomin am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE. „Historisch haben Männer das Geld verdient“, und deswegen erzeuge das Thema Finanzen noch einen Männeranspruch. Besonders auffällig sei das im Vergleich zwischen ost- und westdeutschen Bundesländern. In der DDR haben 1989 mehr als 90 Prozent der Frauen gearbeitet. „Dort gab es andere Rollenmodelle“, sagt Laudenbach. Und dadurch sei die heutige „Gender-Pay-Gap“ dort kleiner. Die „Gender-Pay-Gap“ bezeichnet die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, die zum Teil in unterschiedlicher Branchen- und Berufswahl begründet liegt, aber noch von vielen weiteren Faktoren beeinflusst wird.
Ein weiterer Grund, warum sich weniger Frauen mit Finanzen auseinandersetzen, ist laut Laudenbach, dass der Aktienkapitalmarkt komplex von außen wirke, wenn man sich noch nicht damit beschäftigt habe. Und das treffe leider vor allem für Frauen zu, da sie im Durchschnitt ein schlechteres Finanzwissen hätten. Auch das sei auf die historischen Geschlechterrollen zurückzuführen. Genau wegen dieser Wissenslücke schrecken Frauen vor dem Aktienmarkt zurück und finden erst gar nicht den Einstieg. Laudenbach beobachtet, dass sie grundsätzlich mehr Wissen voraussetzten, um am Aktienmarkt überhaupt teilzunehmen. Informationskosten für die Finanzplanung würden oftmals als zu hoch eingeschätzt.
Mehr Teilzeit, geringere Gehälter
Eine frühe Finanzplanung spielt jedoch sowohl während des Berufslebens eine große Rolle wie auch im Rentenalter. Eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass unter den Über-80-Jährigen mehr als jede vierte Frau (26 Prozent) in Altersarmut lebt – aber nur jeder sechste Mann (17 Prozent). Altersarmut heißt, dass eine Person ein Einkommen von weniger als 1167 Euro im Monat zur Verfügung hat. Konkret ist das monatliche Einkommen von älteren Frauen laut der Studie im Schnitt um 300 Euro niedriger als das von Männern. Das liegt zum einen daran, dass mehr Frauen während ihres Berufslebens Teilzeitphasen haben. Zum anderen hat auch die „Gender-Pay-Gap“ während der Berufstätigkeit einen großen Einfluss darauf, dass ältere Männer mehr Geld zur Verfügung haben als Frauen. Der neue Indikator „Gender Gap Arbeitsmarkt“ des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass Frauen im Jahr 2022 je gearbeitete Stunde durchschnittlich 18 Prozent weniger verdient haben.
Laudenbach sagt, um diesen Teufelskreis durchbrechen zu können, müsse für junge Frauen von einer anderen Seite aus argumentiert werden. Es müsse betont werden, dass es bei der Finanzplanung um Freiheit zur Entscheidung gehe – und nicht ums Reichwerden: „Es geht um finanzielle Unabhängigkeit.“ Beispielsweise sei die Wahl, den Arbeitgeber zu wechseln, stark von der eigenen finanziellen Flexibilität abhängig. Eine gute Finanzplanung ermögliche schlichtweg mehr Optionen, das sei vielen jungen Frauen in der Form nicht klar, so die Verhaltensökonomin.
Aber wie können Frauen einen besseren Zugang zu ihren Finanzen bekommen? Blogposts und Videos wollen im Internet niederschwellig vermitteln, wie das geht. Die meisten erklären, der erste Schritt sei, ein Verständnis über die eigenen Finanzen zu bekommen. Es sei wichtig zu verstehen, wie viel und wofür man Geld ausgebe – und wo man auch etwas sparen könne. Dafür wird ein Haushaltsplan empfohlen.
Sogenannte „Finfluencer“ – junge Menschen, die über soziale Netzwerke Tipps für die Geldanlage geben – versuchen, dem jungen Publikum das Thema schnell und unkompliziert näherzubringen. Jedoch ist es schwierig, im riesigen Angebot durchzublicken und die Seriosität einzuschätzen. Für eine erste Einordnung helfen vor allem traditionelle Bankinstitute – so hat etwa die Sparkasse eigene Beiträge über Frauen in der Finanzwelt auf ihrer Website. Die Commerzbank sticht mit einem Angebot heraus: Die Initiative „Finanzheldinnen“ soll Frauen bei der Vermittlung von Finanzwissen helfen.
„Es ist Hilfe zur Selbsthilfe“, sagt Katharina Brunsendorf, Leiterin der Initiative. „Und dabei ist jeder Weg legitim.“ Bei „Finanzheldinnen“ werde vor allem über die Gemeinschaft versucht, ein Bewusstsein für Finanzthemen aufzubauen. Das Motto dabei sei: „Lasst uns über Geld sprechen.“ Sie würden sich als Übersetzer der Finanzwelt sehen, so Brunsendorf. Finanzplanung müsste erst mal verständlich vermittelt werden – für jeden, der am Anfang der Finanzplanung stehe, egal ob Mann oder Frau. „Wir sitzen alle in einem Boot.“ Wichtig für Brunsendorf ist, dass „Finanzheldinnen“ keine Empfehlungen für Geldanlagen gibt, sondern Wissen vermittelt und in den Austausch darüber geht. „Es geht um das Gefühl, dass es uns betrifft und wir dadurch einen Zugang bekommen.“ Noch besser sei es, wenn mit dem eigenen sozialen Kreis, etwa mit Freunden, der Mutter oder der Schwester, über Finanzplanung gesprochen werde. „Frauen sehen Geld eher im sozialen Kontext, Männer eher aus dem Maximierungsaspekt“, so Brunsendorf.
Für die Verhaltensökonomin Laudenbach kommt noch ein weiterer wichtiger Aspekt für den Anfang dazu: „Man muss nicht gleich alles lösen“, sagt die Professorin aus Frankfurt. Am Anfang gehe es nicht darum, viel Geld zu investieren, sondern darum, einfach ein Gefühl für den Kapitalmarkt zu bekommen. Dem stimmt Claudia Bernsau zu: „Je später man beginnt zu sparen, desto größer wird der Aufwand“, sagt die Finanzberaterin, die seit mehr als 20 Jahren in der Branche ist. Denn die Verhältnisse würden mit dem Alter nur komplexer werden, etwa durch Kinder oder Immobilien. „Die Finanzplanung bei jungen Leuten ist grundsätzlich relativ einfach.“ Für den Anfang solle man sich überlegen, welche Summe man entbehren könne – und diese dann investieren.
„Das ist keine Raketenwissenschaft“
Und dafür ist der erste Schritt laut Bernsau leicht gemacht: Die Person könne beispielsweise mit 50 oder 100 Euro anfangen und erst mal in zwei, drei Fonds investieren. Dies lasse sich dann später ergänzen. „Das ist keine Raketenwissenschaft.“ Damit könne man sich an das Thema heranarbeiten. Außerdem betont die Finanzberaterin, dass es um langfristige Anlagen gehe. „Wenn ich Geld anlege, gibt es notwendigerweise Schwankungen.“ Bei einem langen Anlagehorizont sei dies jedoch kein Problem. So sei das Verlustrisiko bei einem Investment in einen größeren Index über mehrere Jahre hinweg relativ gering, die Ertragsaussichten hingegen sehr gut. Wichtig ist also die Langfristigkeit und die Diversifizierung. „Das hat nichts mit Zocken zu tun.“
Die Frage ist, wie der Teufelskreis durchbrochen wird. Schließlich soll die „Gender Wealth Gap“ nicht an die nächste Generation weitergegeben werden. Während einerseits immer mehr Frauen in der Finanzbranche tätig sind, ist die Aufklärung vor allem im jungen Alter über Altersarmut noch relativ gering. Die Finanzberaterin Bernsau sagt, dass Finanzbildung an Schulen elementar sei. Die Verhaltensökonomin Laudenbach findet, dass das Selbstbewusstsein gerade bei Mädchen aufgebaut werden müsse, denn die Rollenmodelle müssten schon früher aufgebrochen werden. Brunsendorf fügt dem hinzu: „Es muss offen über Geld gesprochen werden.“ Fachleute stimmen überein, dass kein Geschlecht grundsätzlich besser investieren kann. Wenn der Einstieg auf den Kapitalmarkt erst mal geschafft ist, geht es um individuelle Anlagestrategien – egal ob Mann oder Frau. Das Problem ist nur, dass sich das weniger Frauen zutrauen.
Der Zukunftstag geht dieses Problem an. Die beiden Gründer Lorenzo Wienecke und Juri Galkin haben sich in Kassel kennengelernt, als ein Beitrag der Schülerin Naina im Jahr 2015 in den sozialen Medien viral ging: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete und Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen“, hieß es darin. Wienecke und Galkin nahmen sich vor, das zu ändern. Vier Jahre später kam der erste Zukunftstag an ein Gymnasium in Kassel. Die Mission: Lebensnahes Wissen soll den Schülern früher und praxisnah beigebracht werden. Und zwar von Menschen, die in der Region in der jeweiligen Branche arbeiten. Dafür besucht das Zukunftstagteam Gymnasien, Real- und Hauptschulen in ganz Deutschland.
Ein Blick in die Zukunft
Kurz vor den Sommerferien findet ein solcher Tag am Karl-Ernst-Gymnasium im bayerischen Amorbach statt. Der Tag ist für die Schüler der elften Klassenstufe in vier Teile eingeteilt: Vertreter der Deutschen Bank veranstalten einen Workshop in Finanzen, ein Mitarbeiter der Krankenkasse BKK spricht über Krankenversicherungen, der Immobilienvermittler Von Poll hat einen Makler für Fragen rund um die erste Miete geschickt, und ein lokaler Steuerberater will den Schülern mehr über Steuern beibringen. Eine Umfrage gleich zu Anfang bekräftigt die Relevanz des Tages: die meisten Schüler fühlen sich kaum oder gar nicht auf die Themen vorbereitet.
„Ihr seid die Crème de la Crème der zukünftigen Arbeiterschaft“, sagt Thorsten Breitenbach von der Deutschen Bank zu den Schülern im Finanz-Workshop. Aber es kämen auch schwere Aufgaben auf sie zu: Der Generationenvertrag werde durch den „Altersdöner“ fragiler. „Der Name stammt nicht von mir“, sagt Breitenbach schmunzelnd. Aber im Gegensatz zu einer Alterspyramide müssten die wenigen Jungen die Rente der geburtenstarken Babyboomer schultern. Daraus folgert er, dass Finanzplanung immer wichtiger werde. An einer Beispielrechnung erklärt er, welchen Unterschied schon vier Jahre ergeben können, um für die Renten zu sparen: Bei einem Investitionsbetrag von monatlich 50 Euro mit Zinsen von fünf Prozent kommen nach 49 Jahren 15.928 Euro mehr raus als nach 45 Jahren.
Sein Kollege Ralph Drosch übernimmt die Erklärung des Aktienmarkts. Die meisten Schüler haben durch das Planspiel Börse damit schon Erfahrungen gemacht. Drosch betont, dass eine konservative, risikoarme Anlagestrategie für die erste Finanzplanung von Vorteil sei. Kryptowährungen seien hingegen riskanter. Seine Empfehlung für die ersten Geldanlagen: „Investiert regelmäßig, spart regelmäßig, diversifiziert breit und baut eine Altersvorsorge auf.“
Ein Gespräch mit den Schülerinnen der elften Klasse nach den Workshops bestätigt die Einordnungen der Fachleute: Die Mädchen sagen unisono, dass das Thema Finanzen „zu groß und komplex“ wirke. Sie wüssten nicht, wo man überhaupt anfangen solle. Manche von ihnen argumentieren, dass es vor allem weibliche Vorbilder brauche, um sich mit Finanzen besser identifizieren zu können. Die Verhaltensökonomin Laudenbach bekräftigt zudem, dass es nicht darum gehe, dass schon Schüler das perfekte Finanzwissen brauchen, sondern dass die Wichtigkeit des Themas verinnerlicht werde – vor allem für junge Frauen. Denn „Finanzen sind kein Jungsthema“.
Aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19. August 2023, Finanzen (Wirtschaft).
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