FRANKFURT Der Gerichtsfilm „Wer den Wind sät“ in der „Streitfilme“-Reihe des Deutschen Filminstituts und Filmmuseum
Nicht nur Gastredner Rainer Forst war benommen. Lähmende Stille herrschte im Kino des Deutschen Filminstituts und Filmmuseums (DFF), wo doch Applaus hätte aufbranden müssen. In der Reihe „Streitfilme“ der Frankfurter Filmtage zu Demokratie, Konflikt und Streit war eben ein haarsträubender amerikanischer Klassiker zu Ende gegangen. Regisseur Stanley Kramer hatte 1960 einen Film über den sogenannten Affenprozess von 1925 in Dayton, Tennessee gedreht. Unter dem Bibel-Zitat „Inherit the Wind“ („Wer den Wind sät“) stritten die Filmgrößen Spencer Tracy als Verteidiger und Fredric March als Staatsanwalt vor Gericht. Denn der Lehrer Bert Cates (Dick York) hatte ein Gesetz gebrochen, das Darwin aus dem schulischen Biologieunterricht verbannte. Die einfachen Bürger riefen zu Lynchjustiz auf, Gene Kelly ließ als zynischer Reporter seinen frivolen Charme spielen.
Das ist schwer nachvollziehbar hierzulande, aber immer noch relevant im sogenannten „Bible Belt“ der Vereinigten Staaten. Auch deshalb waren Yvonne Blum vom Peace Research Institut Frankfurt und Manuel Steinert vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt Frankfurt auf die Idee gekommen, zum 175. Jahrestag der Nationalversammlung in der Paulskirche eine Filmreihe mit dem Zentrum Normative Ordnungen der Goethe-Universität zu veranstalten. Nach dem Film „Die zwölf Geschworenen“ mit dem Rechtswissenschaftler Klaus Günther, nun also wieder ein Gerichtstermin, diesmal mit dem Philosophen Rainer Forst dem Direktor des Forschungszentrums Normative Ordnungen. Im Gespräch mit Kurator und Moderator Urs Spörri kam er zu dem Schluss: „Am Ende ist das ein sehr christlicher Film, ein Versöhnungsfilm.“
In seinem Einführungsvortrag hatte Forst die religiöse Intoleranz als Thema des Films benannt, der in der Tradition von Voltaires Interventionen und Zolas „J’accuse“ stehe. „Die Problematik begleitet uns heute noch“, so Forst mit Verweis auf den diesjährigen Friedenspreis des deutschen Buchhandels für Salman Rushdie und auf den Kreationismus evangelikaler Gruppen in Amerika, auch im einst katholischen Brasilien. In Kansas sei der Kreationismus, der am biblischen Schöpfungsbericht festhält, noch heute gleichberechtigt mit der Evolutionstheorie. Forst verwies auf die sokratische Frage: „Darf sich ein Philosoph über das Gesetz erheben?“ In diesem Fall der Lehrer als denkender Mensch. Der Film kreise um das Drama zwischen Glaube und Vernunft: „Wie ist der Glaube mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu vereinbaren?“ Worin gründeten unsere moralischen Prinzipien, wenn der Glaube zusammengebrochen ist? Forst, der die amerikanischen Bürger und ihre Mentalität sehr gut kennt, nahm die Ängste des wild gewordenen Mobs im Film durchaus ernst. Denn: „Dieser Hass ist voller Liebe, zu Gott und zu dem Ketzer, dessen Seele ja gerettet werden muss.“ Diese dramatische Kombination aus Liebe und Hass reiche von Augustinus bis heute. Wenn man glaube, im anderen könne der Teufel stecken, dann nimmt, wie jüngst geschehen, Papst Franziskus einen Exorzisten in die Mongolei mit, um mit den dortigen Schamanen zu diskutieren.
In „Wer den Wind sät“ spreche der Wahnsinn aber aus dem fanatischen Staatsanwalt, der sich blasphemisch als Sprachrohr Gottes ausgebe, nahm Forst den Faden in der Diskussion mit Spörri und dem Publikum wieder auf. „Der Film verteidigt den Glauben, aber nicht in fundamentalistischem Sinne“, sagte er. Anwalt Drummond sei ein gläubiger Christ trotz seines extremen Angriffs im Schlussplädoyer. Forst plädierte für Diskussionen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, auch im Kontext von Klimawandel und Corona. Man müsse aber bei aller Rationalität auch die Ressentiments jener verstehen, die stets zu verlieren glaubten. „Ethos und soziale Grundlagen sind relevant für die Demokratie“, sagte er. Die Selbstermächtigung von Übelgesinnten könnte aber zu einer Krise der Demokratie führen, so Forst mit Blick auf die nächsten US-Wahlen. CLAUDIA SCHÜLKE
StreitFilme im DFF
Die Reihe wird am 7. September von 20 Uhr an mit „Die bleierne Zeit“ von Margarete von Trotta fortgesetzt. Gastrednerin ist die Radikalisierungsforscherin Hanna Pfeifer.
Von Claudia Schülke aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 07.09.2023, Kultur (Rhein-Main-Zeitung), Seite 14. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv